Arbeitszeiten und Erholung in Deutschland - eine Untersuchung ihres Zusammenspiels und ihrer Bedeutung für die Gesundheit von Beschäftigten

Diese Dissertation zielt darauf ab, die Zusammenhänge von Arbeitszeiten und Erholung sowie ihre Bedeutung für die Gesundheit von Beschäftigten ganzheitlich zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurde zunächst ein theoretisches Rahmenmodell hergeleitet. Dieses beschreibt, dass arbeitszeitliche Bedingungsfaktoren über Erholungserfahrungen und den Erholungszustand auf die Gesundheit von Beschäftigten einwirken. Basierend auf diesem Rahmenmodell wurde das Zusammenspiel von Arbeitszeiten und Erholung anschließend anhand von drei Studien getestet, die sowohl verschiedene Arbeitszeit- als auch Erholungsaspekte betrachten. In allen drei Studien wurden für Beschäftigte in Deutschland repräsentative Daten der BAuA-Arbeitszeitbefragung genutzt.

Vor dem Hintergrund verschiedener Theorien zu Erholung (Effort-Recovery Model, Meijman & Mulder, 1998; Conservation of Resources Theory, Hobfoll, 1989, 1998; Stressor-Detachment Model, Sonnentag, 2011; Sonnentag & Fritz, 2015) sowie Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben (Boundary Theory, Ashforth et al., 2000; Nippert-Eng, 1996) war das Ziel von Studie 1 (Vieten et al., 2022a), die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aspekten entgrenzter Arbeitszeiten und dem Erholungszustand von Beschäftigten zu untersuchen. Als Aspekte entgrenzter Arbeitszeiten wurden Überstunden, Sonntagsarbeit und arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit betrachtet. Zudem wurde untersucht, ob die in der Freizeit erlebten Erholungserfahrungen Psychological Detachment, Relaxation, Mastery und Control diese Zusammenhänge mediieren und moderieren. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen mit Querschnittsdaten zeigten in Übereinstimmung mit den Hypothesen, dass alle drei Aspekte entgrenzter Arbeitszeiten negativ mit dem Erholungszustand zusammenhingen. Psychological Detachment mediierte diese Zusammenhänge. Zudem zeigte sich, dass auch Relaxation und Control als Mediatoren des Zusammenhangs zwischen arbeitsbezogener erweiterter Erreichbarkeit und dem Erholungszustand wirkten. Bedeutsame Moderationseffekte der Erholungserfahrungen wurden jedoch nicht gefunden. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass entgrenzte Arbeitszeiten ein Risiko für den Erholungszustand von Beschäftigten darstellen und insbesondere Psychological Detachment ein Vermittler dieser Zusammenhänge ist. Darüber hinaus legen die Ergebnisse nahe, dass auch ein hohes Ausmaß an Erholungserfahrungen die negativen Beziehungen zwischen entgrenzten Arbeitszeiten und dem Erholungszustand nicht abschwächen kann.

Basierend auf der Job Demands-Resources Theory (Bakker & Demerouti, 2017; Demerouti et al., 2001), dem Model of Prolonged Stress-Related Activation (Brosschot et al., 2006; Brosschot et al., 2005) und dem Cross-Level Model of Work-Family Boundary Management Styles (Kossek & Lautsch, 2012) wurde in Studie 2 (Vieten et al., 2022b) untersucht, ob die beiden Konstrukte der internalen Work-to-Home- und internalen Home-to-Work-Interferenz den Effekt von zeitlichem Handlungsspielraum auf Erschöpfung mediieren. Um die angenommenen Zusammenhänge zu testen, wurden Pfadanalysen, genauer gesagt Cross-Lagged-Panel Modelle, berechnet. Diese basierten auf Längsschnittdaten der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2015, 2017 und 2019. Erwartungskonform zeigten die Ergebnisse einen indirekten, d. h. über die internale Work-to-Home-Interferenz vermittelten, Effekt des zeitlichen Handlungsspielraums auf Erschöpfung. Da sich die internale Home-to-Work-Interferenz nicht signifikant auf die Erschöpfung von Beschäftigten auswirkte, wurde die Annahme ihrer Mediationswirkung durch die Ergebnisse hingegen nicht gestützt. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass zeitlicher Handlungsspielraum eine wichtige Ressource für Beschäftigte darstellen kann, welche die internale Work-to-Home-Interferenz, also arbeitsbezogene Gedanken in der Freizeit, und damit letztlich die Erschöpfung von Beschäftigten reduzieren kann.

Ziel von Studie 3 (Vieten et al., 2023) war es schließlich, die Prävalenz von drei Merkmalen der Pausenorganisation, nämlich dem häufigen Ausfall von Arbeitspausen, häufigen Unterbrechungen von Arbeitspausen und der Dauer der Essenspause, und ihre Zusammenhänge mit insgesamt fünf physischen und psychischen Gesundheitsbeschwerden zu untersuchen. Folgende fünf Beschwerden wurden betrachtet: (1) Schmerzen im unteren Rücken, Kreuzschmerzen, (2) Schmerzen im Nacken-, Schulterbereich, (3) allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit oder Erschöpfung, (4) körperliche Erschöpfung und (5) emotionale Erschöpfung. Als theoretischer Hintergrund dieser Studie diente das Effort-Recovery Model (Meijman & Mulder, 1998). Die Ergebnisse offenbarten, dass häufige Pausenausfälle von 29 % und häufige Pausenunterbrechungen von 16 % der Beschäftigten berichtet wurden. Die angegebene Dauer der Essenspause lag im Durchschnitt bei etwa 35 Minuten. Wie postuliert, zeigten die durchgeführten, auf Querschnittsdaten basierenden, logistischen Regressionsanalysen positive Zusammenhänge zwischen dem häufigen Ausfall von Arbeitspausen und allen fünf Gesundheitsbeschwerden. Gleiches galt für häufige Pausenunterbrechungen, mit Ausnahme der Gesundheitsbeschwerde der Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich. Hinsichtlich der Dauer der Essenspause zeigte sich ein negativer Zusammenhang mit der körperlichen Erschöpfung. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse dieser Studie somit, dass Pausenausfälle und unterbrechungen in Deutschland trotz gesetzlicher Vorgaben relativ verbreitet sind, was angesichts der ebenfalls gefundenen Zusammenhänge mit gesundheitlichen Beschwerden bedenklich ist.

Alles in allem unterstreichen die Ergebnisse dieser Dissertation, dass sich aus der Gestaltung von Arbeitszeiten sowohl Risiken als auch Chancen für die Erholung sowie die Gesundheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten ergeben können. Durch die Anwendung psychologischer Erholungstheorien im Kontext der interdisziplinär geprägten Arbeitszeitforschung unterstützt diese Dissertation zudem die Weiterentwicklung dieser beiden Forschungsfelder. Darüber hinaus liefern ihre Ergebnisse zahlreiche Implikationen für zukünftige Studien sowie Akteure in der Praxis.

Die gesamte Dissertation "Arbeitszeiten und Erholung in Deutschland - eine Untersuchung ihres Zusammenspiels und ihrer Bedeutung für die Gesundheit von Beschäftigten" kann von der Internetseite der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg heruntergeladen werden.

Bibliografische Angaben

Titel:  Arbeitszeiten und Erholung in Deutschland - eine Untersuchung ihres Zusammenspiels und ihrer Bedeutung für die Gesundheit von Beschäftigten. 

Verfasst von:  L. Vieten

in: Dissertation, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Heidelberg: , 2023.  Seiten: 184, Projektnummer: F 2507, DOI: 10.11588/heidok.00033725

Weitere Informationen

Forschungs­projekte

ProjektnummerF 2507 StatusAbgeschlossenes Projekt Arbeitszeitberichterstattung für Deutschland: Wissenschaftliche Analysen zu aktuellen Themen

Zum Projekt

Forschung abgeschlossen