Art der Gefährdungen und deren Wirkungen
Grundsätzlich sind soziale Beziehungen so zu gestalten, dass sie den oben beschriebenen Gestaltungszielen Rechnung tragen und gesundheitsgefährdende Ausprägungen so weit als möglich vermieden werden. Im Interesse des Gesundheitsschutzes zu vermeiden ist insbesondere:
- mangelnde soziale Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen und/oder Vorgesetzte,
- destruktives Führungsverhalten,
- häufige/schwere Konflikte und Streitigkeiten, verbale Aggressionen am Arbeitsplatz,
- Verletzungen der Integrität und Würde von Personen durch Mobbing, soziale Ausgrenzung,
- Diskriminierung oder sexuelle Belästigung.
Die Gesundheitsrelevanz sozialer Beziehungen bei der Arbeit ist gut belegt (BURUCK et al., 2019, LANG et al., 2012; NIXON et al., 2011). Die im BAuA-Projekt "Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt" (DRÖSSLER et al., 2016) recherchierten Studien zeigen, dass soziale Unterstützung günstige Effekte auf Indikatoren der körperlichen und psychischen Gesundheit hat, während geringe soziale Unterstützung, starke soziale Konflikte oder Mobbing mit zahlreichen negativen psychischen und körperlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Beschäftigten assoziiert sind. Negative Wirkungen sind darüber hinaus auch in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit, die Bindung an das Unternehmen und Abwesenheitszeiten belegt.
Soziale Unterstützung am Arbeitsplatz wird durch das Ausmaß bestimmt, in dem eine Person bei ihrer Arbeit Unterstützung und Hilfe von Kollegen oder Vorgesetzten erhält und erwarten kann (KIENLE et al., 2006; SCHWARZER & KNOLL, 2010; STADLER & SPIESS, 2003). Soziale Unterstützung zielt darauf ab, ein Arbeitsproblem, dass beim Beschäftigten vorliegt, zu lösen oder erträglicher zu machen. Sie kann emotional (z. B. Zeigen von Zuneigung, Vertrauen und Anteilnahme), instrumentell (z. B. materielle oder finanzielle Unterstützung), informationell (z. B. Weitergabe von Ratschlägen und Hinweisen zur Problemlösung) oder durch Bestätigung und Anerkennung (z. B. empfundene Anteilnahme und Wertschätzung) erfolgen. Von einer Gefährdung für die Gesundheit ist auszugehen, wenn Beschäftigte nicht darauf vertrauen können, im Bedarfsfall soziale Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen und/oder Vorgesetzte zu erfahren.
Das Führungsverhalten ist für die Qualität sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz von besonderer Bedeutung. Gesundheitsförderlich wirkt sich ein positives Führungsverhalten aus, das von Aufgaben- und Rollenklarheit sowie Mitarbeiterorientierung geprägt ist; ungünstige Auswirkungen auf die Gesundheit sind zu erwarten, wenn Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Mangel an Klarheit und Zugewandtheit zeigen (MONTANO et al., 2016). Gesundheitsgefährdungen gehen vor allem von destruktiver Führung (abusive supervision) aus. Darunter wird die Einschüchterung oder Erniedrigung von Mitarbeitern durch respektloses und aggressives Verhalten der Führungskraft verstanden. Aspekte dieses respektlosen Verhaltens beinhalten Kritik vor anderen, Beleidigung, Unhöflichkeit, Erniedrigung bzw. Geringschätzung der Mitarbeitenden durch die Führungskraft (TEPPER, 2000). Destruktive Führung kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Mitarbeitenden haben, insbesondere in dynamischen organisationalen Umbrüchen (OTTO et al., 2018, SCHYNS & SCHILLING, 2013). Die vorliegenden Studien machen zudem deutlich, dass destruktive Führung nicht nur die Beziehung zwischen der Führungskraft und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beeinträchtigt, sondern darüber hinaus auch die Qualität der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz insgesamt negativ beeinflussen kann. So ist die Erfahrung destruktiven Führungsverhaltens beispielsweise auch mit einem geringeren Gefühl von Eingebundenheit in den eigenen Kollegenkreis assoziiert.
Von Mobbing wird gesprochen, wenn eine Person wiederholt (mindestens 1 x pro Woche) und über einen längeren Zeitraum (≥ 6 Monate) hinweg negativem Verhalten ausgesetzt ist, das von einer oder mehreren Personen am Arbeitsplatz ausgeht, und wenn sie nicht in der Lage ist, sich dagegen zur Wehr zu setzen (im Sinne einer Unterlegenheit und eines Kontrolldefizites der Mobbingbetroffenen). Mobbing kann verschiedene Formen annehmen (HOLZ et al., 2004): organisationales Mobbing (z. B. Eingriffe in die Arbeitsaufgabe, die Arbeitsorganisation, den Kompetenzbereich einer Person), soziale Isolation (z. B. gezieltes Ausgrenzen durch Gesprächsverweigerung), Angriffe auf die Person und die Privatsphäre (z. B. selbstwertverletzende Äußerungen über die Person ohne Arbeitsbezug), das Verbreiten von Gerüchten, verbale Drohungen und Aggressionen (z. B. Anschreien vor der Arbeitsgruppe). Allen unter den Mobbingbegriff subsumierten Verhaltensweisen gemeinsam ist, dass sie "zerstörend-destruktiv" sind, mit der Absicht zu verletzen einhergehen und dass die Gewalt, die davon ausgeht, eher psychologischer als physischer Natur ist (DRÖSSLER et al., 2016). Ergebnissen einer aktuellen Studie der BAuA zur mentalen Gesundheit bei der Arbeit zufolge (S MGA; LANGE et al., 2019) haben 6,7 % der Beschäftigten innerhalb der letzten sechs Monate mindestens einmal pro Woche Mobbing-Erfahrungen gemacht, wobei häufiger Mobbing durch Vorgesetzte berichtet wird als Mobbing durch Kolleginnen und Kollegen.
Durch empirische Studien ist weiterhin belegt, dass häufige und schwere Beziehungskonflikte im Arbeitskontext (im Gegensatz zu arbeitsbezogenen bzw. Sachkonflikten) negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, aber auch auf die Zufriedenheit mit der Arbeit, auf Motivation und Leistung haben können (DRÖSSLER et al., 2016).
In einer Literaturübersicht über Metaanalysen und Repräsentativerhebungen (SCHRÖTTLE et al., 2019) wurde gezeigt, dass extreme Angriffe auf die Integrität und Würde des Beschäftigten, z. B. sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz durch Kundinnen und Kunden bzw. Klienten (beispielsweise in Pflegeberufen), mit zahlreichen negativen Wirkungen auf die psychische und physische Gesundheit (z. B. auch Entwicklung psychischer Störungen wie posttraumatische Belastungsstörungen) in Verbindung stehen. Laut einer repräsentativen Befragung deutscher Beschäftigter sind extrem negative soziale Interaktionen mit Personen außerhalb der Organisation, wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, selten (9 %). Sexuelle Belästigung erfolgt sowohl ausgehend von Kundinnen und Kunden, Klienten und Patienten als auch von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten innerhalb der Organisation und dabei vor allem überwiegend gegenüber Frauen. Die höchste Betroffenheit wird von Beschäftigten im Gesundheits- und Dienstleistungssektor berichtet (SCHRÖTTLE et al., 2019).