Soziale Beziehungen

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Art der Gefährdungen und deren Wirkungen

Grundsätzlich sind soziale Beziehungen so zu gestalten, dass sie den oben beschriebenen Gestaltungszielen genügen und gesundheitsbeeinträchtigende Ausprägungen soweit als möglich vermieden werden. Im Interesse des Gesundheitsschutzes zu vermeiden sind insbesondere (GDA ARBEITSPROGRAMM PSYCHE, 2022):

a. Gefährdungen aus der sozialen Interaktion zwischen Kolleginnen und Kollegen

  • Unzureichende Möglichkeiten zum sozialen Austausch (z.B. bezgl. fachlichem Austausch, zur Abstimmung, Zusammenarbeit)
  • mangelnde soziale Unterstützung
  • häufige/schwere Konflikte und Streitigkeiten, verbale Aggressionen und /oder Gewalt am Arbeitsplatz
  • Zulassen und/oder Zeigen von destruktivem Verhalten (z. B. Herabwürdigung, Bloßstellen, Beschimpfen, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Mobbing, Belästigung)

b. Gefährdungen aus der sozialen Interaktion zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden

  • fehlende Rückmeldung und Anerkennung
  • Unzureichende Möglichkeiten zum sozialen Austausch
  • mangelnde soziale Unterstützung
  • häufige/schwere Konflikte und Streitigkeiten, verbale Aggressionen und /oder Gewalt am Arbeitsplatz
  • Zulassen und/oder Zeigen von destruktivem Verhalten (z. B. Herabwürdigung, Bloßstellen, Beschimpfen, soziale Ausgrenzung, Diskriminierung, Mobbing, Belästigung)

Risikobehaftete Arbeitsbedingungen für solche Gefährdungen können u.a. sein:

  • Arbeit an Einzelarbeitsplätzen
  • Mobile Arbeit (insbesondere bei hohem Arbeitszeitanteil)
  • Homeoffice/Telearbeit (insbesondere bei hohem Arbeitszeitanteil)
  • Unklare und /oder begrenzte Kompetenzen (i.S. von Berechtigungen und Befugnissen)
  • Unklare Verantwortungsbereiche und Mitarbeiterrollen
  • Widersprüchliche Arbeitsanforderungen

Die Gesundheitsrelevanz sozialer Beziehungen bei der Arbeit ist gut belegt (BURUCK et al., 2019; GONZALEZ-MULÉ et al., 2021; KENT DE GREY et al., 2018; LANG et al., 2012; NIXON et al., 2011; VAN DE MOLEN et al., 2020). Die vorliegenden Übersichtsarbeiten als auch die im BAuA-Projekt "Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt" (DRÖSSLER et al., 2016) recherchierten Studien zeigen, dass soziale Unterstützung günstige Effekte auf Indikatoren der körperlichen und psychischen Gesundheit hat, während geringe soziale Unterstützung, starke soziale Konflikte oder Mobbing mit zahlreichen negativen psychischen und körperlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Beschäftigten assoziiert sind (GERHARDT et al., 2021). Negative Wirkungen sind darüber hinaus auch in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit, die Bindung an das Unternehmen und Abwesenheitszeiten belegt.

Soziale Unterstützung am Arbeitsplatz wird durch das Ausmaß bestimmt, in dem eine Person bei ihrer Arbeit Unterstützung und Hilfe von Kollegen oder Vorgesetzten erhält und erwarten kann (KIENLE et al., 2006; SCHWARZER & KNOLL, 2010; STADLER & SPIESS, 2003). Soziale Unterstützung zielt darauf ab, ein Arbeitsproblem, dass beim Beschäftigten vorliegt, zu lösen oder erträglicher zu machen. Sie kann emotional (z. B. Zeigen von Zuneigung, Vertrauen und Anteilnahme), instrumentell (z. B. materielle oder finanzielle Unterstützung), informationell (z. B. Weitergabe von Ratschlägen und Hinweisen zur Problemlösung) oder durch Bestätigung und Anerkennung (z. B. empfundene Anteilnahme und Wertschätzung) erfolgen. Von einer Gefährdung für die Gesundheit ist auszugehen, wenn Beschäftigte nicht darauf vertrauen können, im Bedarfsfall soziale Unterstützung durch Kolleginnen/-en und/oder Vorgesetzte zu erfahren.

Soziale Beziehungen in Organisationen verändert sich mit Anforderungen aus dem Umfeld. Die dynamischen Veränderungen in diesem Umfeld erfordern schnelle Anpassungen. Dies wiederum impliziert mehr selbstorganisiertes Arbeiten der Organisationseinheiten, Teams und einzelnen Organisationsmitgliedern (BLESSIN & WICK, 2017). Dies kann gefördert werden durch den Abbau von Hierarchien, mehr Teamorientierung und Übertragung von Verantwortung in die Teams (WEBER & THOMSON, 2022). Zudem wird ein neues Verständnis von Management und Führung notwendig. Die Leitungs- und Führungsebene hat über Rollenverhalten, Wertevermittlung, das Setzen von Belohnungs- und Sanktionierungssystemen und die Steuerung von Ressourcen einen hohen Einfluss auf Organisationsklima und -kultur1 sowie das Verhalten der Organisationsmitglieder (KLUGE, 2021).

Der Digitalisierungsschub im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie hat neue Arbeitsanforderungen, etwa im Hinblick auf gesteigerte Anteile von ortsflexibler Arbeit mit sich gebracht (BACKHAUS et al., 2020). Diese Arbeitsform ist mit Veränderungen des sozialen Austauschs verbunden, der nun häufiger über digitale Medien stattfindet. Die verringerten Gelegenheiten persönlicher sozialer Interaktionen können mit Überforderung, Entgrenzung sowie Vereinsamung einhergehen. Ergebnisse der Betriebsbefragung "Betriebe in der Covid-19-Krise" zeigen, dass Telearbeit mit negativen Auswirkungen auf die Kommunikation als wichtigster sozialer Interaktion sowohl zwischen den Beschäftigten als auch zwischen dem Beschäftigen und der Führungskraft im Zusammenhang stehen, sodass der Gestaltung von Arbeitsbedingungen bei der Telearbeit und der besonders sorgsamen Kommunikation durch die Führungskraft besondere Bedeutung zukommt (BACKHAUS et al., 2021). Führungskräfte müssen etwa dafür Sorge tragen, dass es Klare Vereinbarungen, u.a. zum Umfang und v.a. zur Erreichbarkeit gibt, so dass die Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Belangen für die Beschäftigten als auch die Leistungsfähigkeit von Teams gewährleistet ist (WÖHRMANN & BRAUNER, 2019). Erreichbarkeitsregeln und Zeiterfassung verhindern entgrenztes Arbeiten, wirken gesundheitsförderlich und erhöhen die Motivation von Beschäftigten. Darüber hinaus muss bei häufiger Arbeit aus dem Homeoffice auch die ergonomische Ausstattung des Arbeitsplatzes gewährleistet sein. Individuelle Erfordernisse können im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden.

Vor diesem Hintergrund hat die Verstärkung der digitalen Arbeitsweise also auch die Erhöhung von Anforderungen an die Führungskräfte mit sich gebracht (digitale und hybride Führung). Die hohen und veränderten Anforderungen gerade an die operativen Führungskräfte gehen einher mit hoher Arbeitsintensität, so dass trotz gleichzeitig hoher Ressourcen Führungskräfte stark beansprucht sind (STEIDELMÜLLER et al., 2020). Sie sind insbesondere in den häufigen und dynamischen Veränderungsprozessen konfrontiert mit der unzureichenden Verfügbarkeit relevanter Informationen, parallel laufenden und nicht abgestimmten Kommunikationsprozessen, mangelnden zeitlichen Ressourcen für die Führungsaufgabe aufgrund von Tagesgeschäft und administrativen Aufgaben, Konfrontation mit Widerständen und negativen Emotionen der Beschäftigten, problematische Unternehmenskulturen, sowie Umgang mit der eigenen Belastungssituation (THOMSON et al., 2018).

Insofern berichten operative Führungskräfte einen schlechteren Gesundheitszustand als Führungskräfte auf höheren Führungsebenen (STEIDELMÜLLER et al., 2020). Es ist insofern sinnvoll, Führungskräfte als spezifische Zielgruppe mit ihrer Tätigkeit des Führens und Managens im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 des Arbeitsschutzgesetzes gesondert zu berücksichtigen. Insbesondere die Beurteilung psychosozialer Risiken, wie sie seit 2013 im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) explizit vorgeschrieben ist, hat eine hohe Relevanz für die Arbeitssituation von Führungskräften (WITTMERS & KLASMEIER, 2021).

Abgesehen von ihrer eigenen Gesundheit ist das Verhalten der Führungskräfte von hoher Relevanz für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeiter. Gesundheitsförderlich wirkt sich ein positives Führungsverhalten aus, das von Aufgaben- und Rollenklarheit sowie Mitarbeiterorientierung geprägt ist; ungünstige Auswirkungen auf die Gesundheit sind zu erwarten, wenn Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern/-innen einen Mangel an Klarheit und Zuwendung zeigen (MONTANO et al., 2016). Gesundheitsgefährdungen gehen v. a. von destruktiver Führung (abusive supervision) aus. Darunter wird die Einschüchterung oder Erniedrigung von Mitarbeitern durch respektloses und aggressives Verhalten der Führungskraft verstanden. Aspekte dieses respektlosen Verhaltens beinhalten Kritik vor Anderen, Beleidigung, Unhöflichkeit, Erniedrigung bzw. Geringschätzung der Mitarbeitenden durch die Führungskraft (TEPPER, 2000). Destruktive Führung kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Mitarbeitenden haben, insbesondere in dynamischen organisationalen Umbrüchen (OTTO et al., 2018, SCHYNS & SCHILLING, 2013). Die vorliegenden Studien machen zudem deutlich, dass destruktive Führung nicht nur die Beziehung zwischen der Führungskraft und ihren Mitarbeitern/-innen beeinträchtigt, sondern darüber hinaus auch die Qualität der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz insgesamt negativ beeinflussen kann. So ist die Erfahrung destruktiven Führungsverhaltens bspw. auch mit einem geringeren Gefühl von Eingebundenheit in den eigenen Kollegenkreis assoziiert.

Von Mobbing wird gesprochen, wenn eine Person wiederholt (mindestens 1x pro Woche) und über einen längeren Zeitraum (≥ 6 Monate) hinweg negativem Verhalten ausgesetzt ist, dass von einer oder mehreren Personen am Arbeitsplatz ausgeht, und wenn sie nicht in der Lage ist, sich dagegen zur Wehr zu setzen (i. S. einer Unterlegenheit und eines Kontrolldefizites der Mobbingbetroffenen). Mobbing kann verschiedene Formen annehmen (HOLZ et al., 2004): organisationales Mobbing (z. B. Eingriffe in die Arbeitsaufgabe, die Arbeitsorganisation, den Kompetenzbereich einer Person), soziale Isolation (z. B. gezieltes Ausgrenzen durch Gesprächsverweigerung), Angriffe auf die Person und die Privatsphäre (z. B. selbstwertverletzende Äußerungen über die Person ohne Arbeitsbezug), das Verbreiten von Gerüchten, verbale Drohungen und Aggressionen (z. B. Anschreien vor der Arbeitsgruppe). Allen unter den Mobbingbegriff subsumierten Verhaltensweisen gemeinsam ist, dass sie "zerstörend-destruktiv" sind, mit der Absicht zu verletzen einhergehen und dass die Gewalt, die davon ausgeht, eher psychologischer als physischer Natur ist (DRÖSSLER et al., 2016). In einer Studie der BAuA zur mentalen Gesundheit bei der Arbeit (S‑MGA; LANGE et al., 2019) berichteten 6,7 % der Beschäftigten innerhalb der letzten sechs Monate mindestens einmal pro Woche Mobbing-Erfahrungen gemacht zu haben, wobei häufiger Mobbing durch Vorgesetzte berichtet wurde als Mobbing durch Kollegen/-innen. Daneben zeigen Studien, dass neben demografischen Merkmalen der Beschäftigten (weibliches Geschlecht) Mobbingrisiken vor allem durch eine besonders ungünstige Gestaltung von Arbeitstätigkeiten (z.B. repetitive Tätigkeiten, geringer Handlungsspielraum) und der Arbeitsorganisation (z.B. hohe Arbeitsintensität, autoritärer und laissez-fairer Führungsstil, Umstrukturierungsmaßnahmen, Rollenunklarheit, Rollenkonflikte) entstehen (CONWAY et al., 2021; Feijó et al., 2019).

Darüber hinaus ist empirisch belegt, dass häufige und schwere Beziehungskonflikte im Arbeitskontext (im Gegensatz zu arbeitsbezogenen bzw. Sachkonflikten) negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, aber auch auf die Zufriedenheit mit der Arbeit, auf Motivation und Leistung haben können (DRÖSSLER et al., 2016).

In einer Literaturübersicht über Metaanalysen und Repräsentativerhebungen (SCHRÖTTLE et al., 2019) wurde gezeigt, dass extreme Angriffe auf die Integrität und Würde des Beschäftigten, z. B. sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz durch Kunden/‑innen und Klienten/-innen (bspw. in Pflegeberufen), mit zahlreichen negativen Wirkungen auf die psychische und physische Gesundheit (z. B. auch Entwicklung psychischer Störungen wie posttraumatische Belastungsstörungen) in Verbindung stehen. Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung deutscher Beschäftigter demonstrieren, dass extrem negative soziale Interaktionen mit Kunden/Klienten, wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, selten (9 %) sind. Sexuelle Belästigung erfolgt sowohl ausgehend von Kunden/-innen, Klienten/-innen und Patienten/-innen als auch von Kollegen/-innen und Vorgesetzten innerhalb der Organisation und dabei vor allem überwiegend gegenüber Frauen. Die höchste Betroffenheit wird von Beschäftigten im Gesundheits- und Dienstleistungssektor berichtet (SCHRÖTTLE et al., 2019).



1 Klima kann definiert werden als "shared perceptions of and the meaning attached to the policies, practices and procedures employees experience and the behaviours they observe getting rewarded and that are supported and expecte" (SCHNEIDER et al., 2013, S. 362). Eine häufig zitierte Kulturdefinition lautet "The culture of a group can be defined as the accumulated shared learning of that group (…) as the correct way to perceive, feel and behave to these problems. (It …) is a pattern of system of believes, values and behavioural norms that come to be taken for a granted as basic assumptions and eventually drop out of awareness." (SCHEIN, 2017, S. 6). Klima kann insofern als geteilte Wahrnehmung zu Aspekten der Organisation bezeichnet werden, während Kultur implizite Annahmen zu Verhaltensregeln umfasst (THOMSON et al., 2020).

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