Anforderungen der Arbeitszeitflexibilität

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Art der Gefährdungen und ihre Wirkungen

Die verschiedenen Ausprägungen von flexibler Arbeitszeitgestaltung können als Gefährdungen über alle eingangs genannten Mechanismen wirksam werden – z. B. verlängerte Belastungsexposition und verkürzte oder ungünstige Zeiten für Erholung sowie für familiäre und andere Aktivitäten, aber auch die Desynchronisation der inneren Uhr. Denn zeitliche Flexibilitätsanforderungen gehen häufig mit Arbeitseinsätzen jenseits der regulären Länge oder Lage der Arbeitszeit sowie der Anforderung, ständig erreichbar und für Arbeitseinsätze verfügbar zu sein, einher.

Ist die Arbeit nicht in der vorhergesehenen Zeit zu schaffen oder ist das vorhandene Personal zu knapp bemessen, kommt es schnell zu Überstunden, die die Arbeitszeit verlängern. Inwiefern lange Arbeitszeiten als Gefährdung wirksam werden, ist im Abschnitt "Lange Arbeits- und arbeitsgebundene Zeiten" beschrieben. Werden Überstunden auf Langzeitkonten angespart oder verfallen, kann dies damit einhergehen, dass keine ausreichende kurzfristige Erholung möglich ist. Überstunden in geringem Umfang werden sich wesentlich weniger gesundheitlich auswirken als Überstunden in höherem Umfang. Doch das mögliche Gefährdungspotenzial durch Überstunden steht nicht nur im Zusammenhang mit der Länge der Arbeitszeit. Sie können auch zu einer erhöhten Variabilität der Arbeitszeit beitragen, also dazu, dass sich die Dauer der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, aber auch die Lage der Arbeitszeit, also Beginn und Ende der Arbeitszeit, immer wieder verändern. Diese Variabilität der Arbeitszeit ist als ungünstig für die Gesundheit von Beschäftigten zu bewerten (z. B. COSTA et al., 2006). Die Arbeit findet dann häufig zu ungünstigen Zeiten statt, worunter auch die soziale Strukturierung des Lebens leiden kann. Insbesondere kurzfristige Änderungen der Arbeitszeit können zu (Zeit-)Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben beitragen und somit die Work-Life-Balance verschlechtern. Die Vorhersehbarkeit bzw. Verlässlichkeit und Planbarkeit von Arbeitszeiten ist auch reduziert, wenn Beschäftigte auf Abruf arbeiten.

Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft gehen mit negativen Beanspruchungsfolgen einher, wie schlechter Schlafqualität, einer erhöhten Anfälligkeit für Fehler und Unfälle und einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (z. B. BEERMANN et al., 2018; NICOL & BOTTERILL, 2004), insbesondere, wenn sie Nachtdienste umfassen. Durch diese zeitverschobenen, wechselnden und ungünstigen Zeiten kann auch der normale Rhythmus der körperlichen Funktionen gestört werden, was langfristig wiederum nachteilig für die Gesundheit sein kann (vgl. Kapitel 10.2.1). Bei Ruf- und Bereitschaftsdiensten kann allein die reine Anforderung, verfügbar sein zu müssen, Erholungsprozesse beeinträchtigen und die Schlafqualität einschränken (z. B. BAMBERG et al., 2012; DETTMERS et al., 2012). Rufbereitschaft geht immer mit einer potenziellen Einschränkung des Privatlebens einher, die sich z. B. darin äußert, dass eine verlässliche Teilnahme am sozialen und Familienleben gestört ist, und dass das gedankliche Abschalten von der Arbeit nur schlecht gelingt.

Dies gilt auch für Beschäftigte, die in ihrer Freizeit – unabhängig von regulierter Ruf-bereitschaft – für die Arbeit erreichbar sind bzw. häufig kontaktiert werden (z. B. CAMBIER et al., 2019; DERKS & BAKKER, 2014; DERKS et al., 2014; VAN LAETHEM et al., 2018). Diese unregulierte Form der arbeitsbezogenen erweiterten Erreichbarkeit kann mit der Verkürzung und Unterbrechung von Ruhezeiten einhergehen, was sich wiederum nachteilig auf die Erholung und auch die Work-Life-Balance auswirken kann. Die arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit hat auch Einfluss darauf, ob die Arbeit im Homeoffice (bzw. mobiles Arbeiten, Telearbeit) ein Gefährdungsrisiko birgt. An sich ist das Autonomieempfinden, das bei vielen Beschäftigten mit der Arbeit im Homeoffice einhergeht, positiv zu bewerten. Häufig kommt es bei Beschäftigten, die von zu Hause arbeiten, jedoch zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit, wie der beschriebenen arbeitsbezogenen erweiterten Erreichbarkeit, Überstunden, Arbeit am Wochenende, Arbeit spät am Abend – und darüber ggf. auch zur Verletzung von Ruhezeiten (vgl. WÖHRMANN et al., 2020). Dies erhöht wiederum das Risiko für unzureichende Erholung, Unzufriedenheit mit der Work-Life-Balance bzw. Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben und schließlich für nachteilige Effekte auf die Gesundheit (z. B. WÖHRMANN et al., 2020). Somit haben auch zeitliche Handlungsspielräume Gefährdungspotenzial, wenn sie bei hoher Arbeitsbelastung dazu führen, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit verlängern oder an eigentlich freien Tagen arbeiten und somit ihre Ruhezeiten verkürzen oder unterbrechen. Eine erhöhte Variabilität der Arbeitszeit kann sich auch bei selbstbestimmten Arbeitszeiten nachteilig auswirken. An sich stellen zeitliche Handlungsspielräume jedoch eine wichtige Ressource für Beschäftigte dar, z. B., um Arbeit und Privatleben gut miteinander vereinbaren zu können. Sie können somit dazu beitragen, das Risiko für gesundheitliche und familiäre und andere soziale Beeinträchtigungen zu verringern.

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