Verhaltene Rückmeldungen aus der Praxis

Stigmatisierung aufgrund von COVID-19 im Gesundheitssektor ist ein großes Thema – und trotzdem lief die Suche nach Interviewpartnerinnen und -partnern im Rahmen einer BAuA-Studie über aktuelle Stigmatisierungserfahrungen am Arbeitsplatz nur schleppend. Woran könnte das liegen?

Portrait einer Krankenpflegerin mit Mund-Nasen-Schutz
© iStock/wanderluster

Obwohl COVID-19 und die damit verbundenen Belastungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen in den Medien vielfach von pflegerischen und medizinischen Fachpersonen selbst thematisiert werden, gestaltete sich die Akquise von Interviewpartnerinnen und -partnern für unsere Interviewstudie eher schwierig.

Die Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter an der Hochschule für Gesundheit (HSG) in Bochum schlugen dabei unterschiedliche Wege ein. Sie traten insbesondere an Einrichtungen der Altenpflege, Krankenhäuser und Pflegeverbände heran, veröffentlichten Aufrufe in relevanten Fachmedien und nutzten private Kontakte, um von Stigmatisierung betroffene Personen zur Teilnahme an der Studie zu gewinnen.

"Auch aus Einrichtungen, in denen die Führungsebene nahezu begeistert von unserer Anfrage war und sie unterstützte, kam nur eine Rückmeldung aus den Reihen der Beschäftigten. Das ist verwunderlich, da einige Führungskräfte über mehrere Mitarbeitende berichteten, die sich mit genau solchen Erfahrungen an sie gewendet hatten."

Martin Schieron, HSG Bochum

Bei den Bemühungen, Interviewpartnerinnen und -partner über persönlichen Kontakte zur Teilnahme an unser Studie zu bewegen, zeigte sich ein vollkommen anderes, aber auch sehr differierendes Bild.

"Die erfolgreiche Rekrutierung der Interviewpartnerinnen und -partner erfolgte ausschließlich durch persönliche Kontakte."

Maria Girbig, TU Dresden

"Meine persönlichen Kontakte haben sowohl Interesse als auch Bereitschaft gezeigt, sich interviewen zu lassen. Sie hatten aber persönlich keine Stigmatisierungserfahrungen gemacht."

Noemi Skarabis, HSG Bochum

Dies fiel insbesondere bei Medizinerinnen und Medizinern auf. Es meldeten sich sehr wohl einige Ärztinnen und Ärzte, die sich hätten interviewen lassen. In den Vorgesprächen mit ihnen stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht von Stigmatisierung betroffen waren und so für die Interviews nicht in Frage kamen.

Auf unsere Aufrufe in Pflegefachmedien meldeten sich die meisten Personen, die bereit waren, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Allerdings zeigte sich hier ein anderes Problem: Ein großer Teil (30 %) dieser Personen, die sich ja eigeninitiativ bei uns gemeldet hatten, antwortete dann nicht mehr auf unsere Kontaktversuche.

"Es gab ein paar Personen, die mich nach den Aufrufen kontaktiert haben, sich aber dann nicht mehr zurückmeldeten, nachdem ich ihnen Terminvorschläge und die Datenschutzerklärung zugeschickt hatte."

Laura Geiger, HSG Bochum

Dies sind nur einige der Erfahrungen, die wir in diesem Projekt gemacht haben.

Warum es allgemein eine so große Zurückhaltung auf unsere Anfrage gab und warum doch eine bedeutende Anzahl von Personen nach erster Kontaktaufnahme ihrerseits den Kontakt zu uns nicht aufrechterhielt, darüber können wir nur spekulieren.

Ob das Thema "Stigmatisierung" so negativ belegt ist, dass auch davon betroffene Personen sich dazu nicht äußern möchten bzw. sich nicht mehr mit gemachten Erfahrungen auseinandersetzen wollen? Sind die beruflichen Belastungen derzeit so hoch, dass für eine Studienteilnahme keine Ressourcen bleiben? Dies wurde tatsächlich zumindest von zwei angefragten Hausartpraxen so geäußert. Oder kommt Stigmatisierung doch nicht so häufig vor?

Letzteres können wir uns kaum vorstellen. Denn die meisten Rückmeldungen kamen ja zu unseren öffentlichen Aufrufen. Bereits in ihren Antworten darauf schilderten diese Personen teilweise massive Stigmatisierungserfahrungen. Wie bereits oben erwähnt, reagierten einige Personen jedoch nicht mehr auf unsere Kontaktversuche, nachdem wir ihnen die Unterlagen zum Datenschutz und die zu unterschreibende Einverständniserklärung hatten zukommen lassen. Daher vermuten wir, dass es trotz zugesicherter Anonymität diesbezüglich Bedenken gab, die wir nicht ausräumen konnten.

Dies gelang anscheinend weitaus besser über private Kontakte, über die wir insgesamt 50 % der interviewten Personen gewinnen konnten. 44% der letztendlich Befragten reagierten auf unsere öffentlichen Aufrufe und nur 6 % konnten über die direkte Anfrage in Einrichtungen des Gesundheitswesens zur Teilnahme an der Interviewstudie motiviert werden.

Trotz der vielen Absagen konnten wir auf den beschriebenen Wegen immerhin 18 Interviewpartnerinnen und -partner – meist aus dem pflegerischen Bereich – gewinnen. Auf diese Weise war es uns schließlich doch noch möglich, vertiefende Einblicke in das Stigmatisierungsgeschehen im Kontext von COVID-19 zu erhalten. Unter anderem konnten wir Informationen zu Anlässen, Stigmatisierungsformen und die Art des Umgangs der Betroffenen mit diesen Erfahrungen gewinnen. Die Ergebnisse werden wir demnächst veröffentlichen.

Gudrun Faller, Prodekanin des Department of Community Health, Professorin für Kommunikation und Intervention im Kontext von Gesundheit und Arbeit, HSG Bochum

Forschungsprojekt